< PreviousINTERVIEW Die Erema Group feierte heuer ihr 40-jähriges Bestehen und eröffne- te im Rahmen der Feierlichkeiten auch ein neues R&D-Center am Unternehmensstandort in Ansfelden. Wir sprachen mit CEO Manfred Hackl über Meilensteine der Firmengeschichte, übergrei- fende Prozessentwicklungen in ei- nem starken Netzwerk und seine persönliche Vision einer Circular Economy, bei der Digitalisierung und künstliche Intelligenz eine ganz entscheidende Rolle spielen. Im Juni feierte Erema 40-jähriges Fir- menjubiläum. Ein stolzes Alter, wenn man bedenkt, dass das Recycling von Kunststoffen eigentlich erst in den letzten Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung, aber auch in der In- dustrie eine maßgebliche Rolle spielt. Wie sieht Ihr Rückblick aus? Die 40-Jahr-Feier war wunderschön und wir sind stolz, dass wir diesen Tag gemeinsam feiern durften. Vor allem konnten wir unseren Mitarbeitern, von denen rund 400 erst maximal 3 Jahre im Unternehmen sind, einen tollen Rück- blick auf die Erema-Erfolgsgeschichte bieten. Es ist großartig, wenn man sich persönlich, aber auch mit Mitarbeitern, Kunden und Partnern die Zeit nimmt, zurückzublicken, und realisiert, in wie vielen Bereichen Erema dem Recycling zum Durchbruch verholfen hat. Begin- nend mit dem Inhouse-Recycling vor 40 Jahren, dann Post-Consumer-Recy- cling vor 30 Jahren, PET-Recycling vor 20 Jahren, Corema, Inline-Sheet und viele andere Technologien, auf die wir im Unternehmen stolz sind. Auch un- sere Mitarbeiter empfinden das so und waren gemeinsam mit ihren Familien, mit ihren Kindern da, um ‚ihr‘ erfolg- reiches Unternehmen zu präsentieren! Sie haben ja einige Meilensteine schon erwähnt. Können Sie uns an Ihrer persönlichen Geschichte dazu teilhaben lassen? Die Ur-Technologie der Erema-Grün- der entstand aus der Kombination der Pre-Conditioning-Unit, damals Schneidverdichter genannt, mit dem Extruder. Aus früher 3 Maschinen, also einer Mühle, einem Agglomerator und einem Extruder, entwickelte man eine kompakte Anlage, was auch hinsicht- lich Energieeffizienz ein Meilenstein bedeutete. Als ich 1995 bei Erema im QM Be- reich starten durfte und 1999 im Haus den Bereich PET-Recycling übernahm, existierte nur die Idee zu einer Erema- Recyclinglösung. In der Entwicklung und schließlich der Markteinführung im Jahr 2000 steckt viel Herzblut – bis heute! Damit konnte man dem Bottle-to- Bottle-Recycling, das es bis dahin noch nicht wirklich gab, zum Durchbruch mit Manfred Hackl, CEO der Erema Group 162 Österreichische Kunststoffzeitschrift 7/8 2023 INTERVIEW Mit der FibrePro:IV wurde eine innovativ Technologie für das Textilrecycling vorgestellt, um aus 100 % Faserabfällen wieder 100 % Faser zu generieren. Foto: K. Sochor Rundgang mit Manfred Hackl durch das neue R&D Center am Erema-Standort Ansfelden. Foto: K. Sochor Mit der Anfang August gemeinsam von Erema und Lindner gegrün- deten Holding BLUEONE Solutions werden neue Branchenstandards im Kunststoffrecycling gesetzt. Foto: Lindner 40 Jahre Recycling-Erfolgsgeschichte163 Österreichische Kunststoffzeitschrift 7/8 2023 INTERVIEW verhelfen. Später kam die die FDA- Zulassung für die PE-HD Milchflasche und heute die weltweit erste für den Kosmetikbereich zugelassene Dusch- gelflasche, hergestellt aus 100% PCR- HDPE aus dem gelben Sack, bei der man von einem Meilenstein und Tech- nologie-Durchbruch sprechen kann. Oder die Herstellung von geruchs- neutralem Material. Das schönste war und ist für mich immer die Zusammen- arbeit mit Kunden und Mitarbeitern. Für dieses gemeinschaftliche Mitei- nander haben wir auch beim heuri- gen Discovery Day und der 40-Jahr-Fei- er viel positives Feedback bekommen. Wir lernen von unseren Kunden und versuchen, die Erfahrungen bestmög- lich umzusetzen. Dieser Gedanke ist in unserer Unternehmens-Philosophie seit der Gründung fest verankert. Mit hervorragenden Filtrations- und Entgasungstechnologien sowie Ge- ruchsneutralisation wird es uns ge- lingen, auch weitere Materialien in Europa zur Zulassung für den Lebens- mittelbereich zu bringen. Mit FDA-Zu- lassungen sieht es für etliche Materi- alien, die unsere Kunden herstellen, schon sehr gut aus, mit EFSA-Zulas- sungen wird es noch ein wenig dauern, aber ich bin mir sicher, dass sich auch hier in Europa durch das in Kraft treten der neuen EU-Regulation 2022/1616 im Oktober 2022 und der dort beschrieben Möglichkeit der „Novel Technologies“ in nächster Zeit einiges tun wird. Dabei handelt es sich vor allem auch um Meilensteine für das mechanische Recycling? Absolut, das kann man nur unterstrei- chen. Immer wieder hört man, das mechanische Recycling sei am Limit, wovon wir überhaupt nicht überzeugt sind. Wenn man sich die Entwick- lungen im mechanischen Recycling über die letzten 5 Jahre ansieht, gibt es jetzt technologische Möglichkeiten, die vor einigen Jahren noch undenk- bar waren. Sei es etwa das Recycling von Stretchfolien wieder zu Stretchfolie oder die Geruchsneutralität sowie die Kosmetikanwendungen. Die Gesetzge- bung der EFSA ermöglicht es jetzt hin- sichtlich Lebensmittel-Direktkontakts, die richtigen Schritte zu setzen. Die technologische Vorarbeit wurde in den letzten Jahren begonnen und von uns als Industrie gemeinschaftlich weiter- verfolgt. Ist die Zusammenarbeit zwischen In- dustrie und Behörden in den letzten Jahren besser geworden? Beide Seiten haben erkannt, dass die Zusammenarbeit notwendig ist. Die Behörden haben erkannt, dass Kunst- stoff benötigt wird und die entspre- chende Gesetzgebung wichtig ist, um die Kreislaufwirtschaft vorantrei- ben zu können. Und die Industrie hat erkannt, dass es behördliche Zulas- sungen braucht, um das Recycling auf einen entsprechenden Qualitäts- und Genehmigungsstandard zu bringen. Beide bewegen sich, beide bemühen sich und darum sind auch neue Pro- zesse für EFSA Zulassungen im PO Be- reich möglich, wie etwa jetzt mit der EFSA. Sehen Sie die Zukunft in der komple- mentären Verwendung verschiedener Recyclingkonzepte, um den Kreislauf optimal zu schließen? Ich sage ganz klar: alles, was mecha- nisch recycelt werden kann, soll und muss mechanisch recycelt werden, da es hinsichtlich CO 2 -Fussabdruck und Im neuen R&D Center wurde auch ein modernes Labor eingerichtet. Foto: K. Sochor Erema feierte heuer 40-jähriges Bestehen. Foto: Erema164 Österreichische Kunststoffzeitschrift 7/8 2023 INTERVIEW somit auch Kosten klar im Vorteil ist. Und alles andere, was überbleibt, kann Richtung chemisches Recycling gehen Durch die Weiterentwicklung der tech- nischen Möglichkeiten, wird sich den- noch das Potential im mechanischen Recycling erhöhen. Das mechanische Recycling hat über die letzten Jahre ge- zeigt, dass es Geschäftsmodelle gibt, die funktionieren, sonst wären keine neuen Anlagen gekauft worden. Beim chemischen Recycling sind noch keine industriellen Anlagen in Betrieb. Die werden funktionieren, aber die Frage ist, mit welcher Wirtschaftlichkeit und ökologischem Fußabdruck. Die Kunst- stoffindustrie darf nicht den Fehler ma- chen, alles ins chemische Recycling zu verschieben, um sich in 10 Jahren ein- gestehen zu müssen, dass es nicht wirt- schaftlich ist. Einerseits ist es wichtig, in die Weiterentwicklung des mecha- nischen Recycling und in bestehende Geschäftsmodelle zu investieren und gleichzeitig auch im chemischen Recy- cling Entwicklungen voranzutreiben, um die ersten ein, zwei Großanlagen in Betrieb nehmen zu können. In wie weit will sich Erema in den ge- samten Recycling-Prozess einbrin- gen? Wir wollen die Kundenbedürfnisse ver- stehen und entsprechende Lösungen entwickeln. Dazu gehört vor allem, weiteres gesamtheitliches Prozesswis- sen neben der Extrusion aufzubau- en und übergreifende Prozessentwick- lungen voranzutreiben. Essenziell für eine funktionierende Recyclingwirt- schaft wird sein, dass die gesamte Pro- zess- bzw. Wertschöpfungskette – von der Abfallsammlung und Aufberei- tung über das Recycling bis hin zum Kunststoff-Endprodukt – im Fokus der agierenden Unternehmen steht. In der Anfang August gemeinsam von Erema und Lindner gegründeten Hol- ding BLUEONE Solutions werden wir ab sofort die Expertise aus beiden Un- ternehmen bündeln und durch ge- meinsame Forschungsprojekte Bran- chenstandards im Kunststoffrecycling schaffen. Durch diesen Firmenzusam- menschluss schaffen wir ein besseres Gesamtverständnis, um dadurch spe- ziell im Polyolefinbereich die erforder- liche Weiterentwicklung gemeinsam zu prägen. Im Detail betrachtet, kön- nen der Recyclingextruder, die vorge- schaltete Waschanlage sowie das Ma- terialhandling optimal aufeinander abgestimmt werden, so dass Qualitäts- standards bestmöglich erfüllt und En- ergiekosten optimiert werden können. Und das vor allem dank prozessüber- greifender Steuerung & Monitoring, gestützt durch digitale Lösungen. In Zu- kunft werden wir perfekt abgestimmte All-in-one-Lösungen anbieten, die es unseren Kunden ermöglichen, ein Ge- samtpaket zu kaufen, das exakt auf ihre Anwendungen konfiguriert ist. Unterstützt Erema die Etablierung einer funktionierenden Kreislaufwirt- schaft auch in der Region? Ja, in Oberösterreich gibt es das ehr- geizige Ziel, als Modellregion für die Kunststoff-Kreislaufwirtschaft wahrge- nommen zu werden. Den Weg dorthin haben rund 80 Expertinnen und Exper- ten aus Unternehmen und Forschungs- einrichtungen im Rahmen einer ‚Tech- nology Roadmap Sustainable Plastic Solutions‘ erarbeitet und mit einer Visi- on ausgestattet: Bis 2030 soll der Inhalt des Gelben Sacks zu 100 Prozent kreis- lauffähig werden. Von den zahlreichen Aktivitäten in Oberösterreich, etwa mit den neuen Studienrichtungen an der JKU in Linz und der Errichtung einer Hightech-Sortieranlage für Leichtver- packungen in Ennshafen bin ich immer wieder aufs Neue begeistert. Wenige in der Kunststoffbranche, geschweige denn in der Bevölkerung, wissen, wie viel in Sachen Recycling und Nachhal- tigkeit getan wird. Die Frage, die ich mir immer wieder stelle: Wie können wir das besser vermarkten? Das klingt ja toll, aber wie geht es der Branche derzeit in dem aktuellen wirt- schaftlichen Umfeld? Derzeit haben wir die Problematik einer wirtschaftlich rückläufigen Lage in allen Branchen. Jeder Industriezweig überlegt, wo man sparen kann. Unter Druck verwenden viele Verarbeiter aus Preisgründen die günstigere Neuware, die stabilere Prozess garantiert. Viele steigen dann nicht auf mehr Regranu- lat um, sondern belassen maximal den bisherigen Anteil. Das tut der Bran- che langfristig nicht gut. Warum sind denn in den vergangenen fünf Jahren so viele Innovationen passiert? Weil die Nachfrage vom Markt da war, viele Markenartikler Druck ausgeübt haben und gemeinschaftlich neue Produkte mit höherem Rezyklatanteil entwickeln wollten. Ohne diese Entwicklung hätte Erema niemals diese Menge an Inno- Erema lud Kunden und Partner Anfang Juni zur Technologieschau am „Discovery Day“ und eröffnete bei dieser Gelegenheit auch das neue R&D Center. Fotos: EremaINTERVIEW Österreichische Kunststoffzeitschrift 7/8 2023 165 vationen auf den Markt bringen kön- nen. Es braucht das Commitment von allen Seiten, damit sich etwas bewegt. Wenn nicht mehr Rezyklat am Markt eingesetzt wird, gibt es auch keine In- vestitionen. Und wenn unsere Kun- den teilweise die Anlagen abstellen, wird über neue natürlich nicht nachge- dacht. Wir unterliegen da, wie alle an- deren, den Markt-Trends. Wie beurteilen Sie in diesem Zusam- menhang die aktuelle Lage der Bran- che? Wir waren erfolgsverwöhnt. Bei Erema hat sich das Wachstum über die letzten Jahre überdurchschnittlich entwickelt und jetzt sind wir wieder in einer ge- wissen Normalität angekommen. War über 20 Jahre lang ein Wachstum von durchschnittlich 8 % normal, sind wir in den letzten 4 bis 5 Jahren im Schnitt rund 25 % gewachsen. Das Wachs- tum kam aber nicht durch eine Erhö- hung der Preise zu Stande, sondern vor allem durch den Verkauf größerer Anlagen. Kann das neu entwickelte Textilrecy- cling Stabilität in das Unternehmens- wachstum bringen? Was uns erfolgreich gemacht hat ist die Tatsache, dass wir schon immer auf mehrere Standbeine gesetzt haben – Inhouse-Recycling, PET-Recycling und das klassische Polyolefin-Recycling. Die globale Präsenz in unterschied- lichen Kontinenten hat uns eine ge- wisse Stabilität verschafft. Mit unserer neuen Technologie für das Faser- Tex- tilrecycling wollen wir zwei Ziele er- reichen: einerseits die Stabilität er- höhen, da das Faser-Textilrecycling andere Zyklen haben wird und ande- rerseits in Summe Wachstumspoten- zial schaffen. Ich bin überzeugt, dass so, wie es Kunststoff-Bashing gab und gibt, auch das Textilbashing zunehmen wird. Daher liegt in diesem Bereich ein Riesenpotenzial. Nach vier Jahren Ent- wicklung gehen wir jetzt mit den An- lagen an den Start. Auf der größten Textilmesse ITMA, welche alle 4 Jahre in Mailand stattfindet, haben wir mit der FibrePro:IV erstmalig das Maschi- nenkonzept sehr erfolgreich vorge- stellt, gemeinschaftlich als Erema und Pure Loop. Der nächste Schritt ist nun, klassisch ins Textilrecycling einzustei- gen, wo wir bereits erfolgreich Ver- suche machen und bei europäischen Entwicklungsprojekten beteiligt sind. Sicherlich wird es da einen längeren Atem brauchen, um Mischgewebe re- cyceln zu können. Aber das muss das Ziel sein! Zum Beispiel ein Polyesterge- webe mit 20 % Baumwollanteil. Nur so können wir das Textilrecycling sinnvoll angehen. Die interessanten Märkte für das Faser-Textilrecycling befinden sich in Asien, in der Türkei, aber auch in Eur- opa gibt es noch das eine oder andere Fleckchen, wo Fasern produziert wer- den. Auch in den USA, etwa in North und South Carolina, gibt es einige Fa- ser-Produzenten. Es ist kaum jemanden bewusst, dass weltweit dreimal so viel PET-Fasern wie PET-Flaschen produ- ziert werden, 80 % davon in China. Von der großen Welt wieder zurück in unsere Region. Gibt es regionale For- schungsprojekte? Ja, es gibt auch ein oberösterrei- chisches Entwicklungsprojekt, das ge- meinsam mit Lenzing umgesetzt wird. Wir haben erkannt, dass wir, wenn wir dieses Thema strategisch und in- tensiv angehen möchten, einen Ex- perten brauchen, der aus dieser Fa- ser-Welt kommt. Seit 2019 ist Wolfgang Hermann, früherer Geschäftsführer bei IFG Asota, bei uns mit einem Team von rund zehn Mitarbeitern für die For- schung und Entwicklung verantwort- lich, das Projekt voranzutreiben. Bottle Flakes zu Fasern zu recyceln ist ein- fach, aber eigentlich Green Washing. Aus der Textil-Faser wieder eine brauchbare Faser zu erhalten, ist eine ganz andere Herausforderung. Dafür benötigt man innovative Technolo- gien, um aus 100 % Faserabfällen wie- der 100 % Faser zu generieren. Und das mit einer Faserstärke von maxi- mal zwei Dtex, was bedeutet, dass die Faser auf 10.000 Meter gerade mal ein Gewicht von 2 Gramm auf die Waage bringt. Die Faser ist drei Mal dünner als ein Haar und man kann sich vorstellen, was hier an Technologie für einen op- timalen Prozess notwendig ist, von Fil- tration über Homogenisation bis hin zu Viskositätsstabilität. Die Textiler waren in Mailand von der neuen Fibre IV pro extrem angetan, denn die extrem hohen Qualitätsansprüche konnte bis- her noch niemand erfüllen. Der Proto- typ der Maschine steht zurzeit noch in Sankt Marien und wird demnächst in das neue Forschungs- und Entwick- lungszentrum in Ansfelden übersie- delt. Die Maschine verfügt über 400 kg Durchsatz und es werden darauf be- reits Versuche fahren. Übrigens auch ein Grund, warum wir ein neues R&D -Zentrum gebaut haben, da wir alle un- sere Aktivitäten an einem Standort zu- sammen bringen wollen. Im Jubiläumsjahr wurde auch ein neues R&D-Center eröffnet. Welche Möglichkeiten stehen Ihren Kunden und Partnern zur Verfügung? Für Kundenversuche und Kunden- vorführungen stehen weiterhin unse- re Erema Customer Center mit mitt- lerweile 22 Vorführanlagen weltweit zur Verfügung. Neu am Standort hier in Ansfelden ist eine Vorführanlage in Zusammenarbeit mit SML für die Pro- duktion von PET Inline Sheet, die sich in einer eigenen, zusätzlichen Halle befindet. Im R&D Center wollen wir Platz, Zeit und Raum für mehr Grund- lagenforschung haben, um langfristig planen zu können. Da wir dort auch in ganz neue Technologien einstei- gen, befindet sich das R&D Center in einem eigenen Bereich am Ende des Firmenareals. Im neuen Forschungs- und Entwicklungszentrum wollen wir ‚out-of-the-box‘ denken, um in kom- plett andere Dimensionen für das me- chanische Recycling vorstoßen zu kön- nen. Im Endausbau werden dort sechs Maschinen, die komplett flexibel auf- gebaut sind, Platz finden. In diesem Bereich wird auch noch die neue Ma- schinengeneration PCU TwinScrew aufgestellt, eine direkte Kombination der patentierten Preconditioning Unit (PCU) mit einem Doppelschnecken- extruder. Dieses Maschinenkonzept haben wir auf der K 2022 erstmalig vor- gestellt. Es ist weltweit einzigartig, da eine PCU direkt an einer Doppelschne- cke angeflanscht ist. Unsere Kunden waren bei dem Discovery Day schwer angetan, dass wir jetzt auch im Bereich Doppelschnecke, neben der Corema, einen noch geringeren Fußabdruck durch die Kombination mit einer PCU hinterlassen werden. Natürlich kön- nen auch auf dieser Maschine zukünf- tig Kundenversuche durchgeführt wer- den. Gerade die Themen Digitalisierung und vermehrt künstliche Intelligenz sind Gamechanger bezüglich der Eta- blierung einer echten Kreislaufwirt- schaft. Welche Veränderungen erwar- ten Sie in den nächsten Jahren? Wir von Erema sind in der Circular Eco- nomy ja seit vielen Jahren sehr aktiv. Ich bin überzeugt, dass Digitalisierung in der Kreislaufwirtschaft eine ganz be- deutende Rolle spielt. Der Kunststoff- verarbeiter erwartet stabile Qualität des Eingangsmaterials und Rückver- folgbarkeit für eine nachvollziehbare Qualität. Diese beiden Faktoren kann ich mit Digitalisierung, egal ob durch Steuerung, Monitoring oder künstliche Intelligenz beeinflussen. Auch prozess- übergreifend, denn man kann sich vor- stellen, dass sich jede Änderung der Parameter etwa bei der Waschanla- ge im weiteren Verlauf auswirkt. Digi- talisierung wird hinsichtlich Prozess- stabilität immer wichtiger, etwa mit Predictive Maintanance oder Schwin- gungsmessungen. Viele Tools dafür haben wir auf der K 2022 vorgestellt. Das Thema Rückverfolgbarkeit steht für mich noch eine Ebene darüber. Un- sere ideale Lösung dafür, die ‚Smart Factory‘, gibt es bereits seit sechs Jah- ren, allerdings waren wir damit fast ein bisschen zu früh dran, die Zeit war einfach noch nicht reif. Die Smart Fac- tory-Applikation ermöglicht es, alle Prozesse zurückzuverfolgen, von der Ballen-Anlieferung mit Barcode bis hin zum Bigbag mit dem fertigen Granu- lat, und das ganz unabhängig davon, ob es sich um Erema- oder Fremdpro- zesse handelt. Das Interesse bei den Kunden steigt und für die Industria- lisierung des Kunststoffkreislaufes ist 166 Österreichische Kunststoffzeitschrift 7/8 2023 INTERVIEW die Nachverfolgbarkeit essenziell. Wir haben im Bereich Digitalisierung unse- re BluPort App entwickelt, über die sich der Operator Ersatzteile liefern lassen oder Schulungs-Videos für seine Anla- ge ansehen kann. Zudem können der Geschäftsführer oder der Schichtlei- ter über die App jederzeit Key Perfor- mance Parameter abrufen. Und in Richtung heuristischer Rechen- modelle und künstlicher Intelligenz? Danke – guter Punkt! Wir können zum Beispiel unser Ausstoßsignal mit Hilfe von heuristischen Rechenmodellen er- rechnen. Vor fünf Jahren hätte jeder gesagt, dass das nicht funktioniert, da sich die Polymerschmelze mit Masse- temperatur, Massedruck und so wei- ter ändert. Mit der JKU und dem Soft- warepark Hagenberg haben wir es geschafft, Modelle mit der Genauigkeit einer normalen Waage zu entwickeln. Das war für uns natürlich eine Bestäti- gung, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Auf unserem Discovery Day haben wir zudem eine neue Steuerung für un- seren Laserfilter vorgestellt. Mit den hinterlegten Rechenmodellen wird nun automatisch gesteuert, was vorher vom Operator manuell eingestellt werden musste, um die Qualität der Filtration zu erhöhen, den Abfall vom Filter-Aus- trag optimiert zu reduzieren und die Stillstandzeiten zu optimieren. Das sind interessante Lösungen, die auf Grund von Digitalisierung und künstlicher In- telligenz möglich werden. Mit unseren Entwicklungspartnern in Oberösterrei- ch haben wir tolle Institute, auf die wir zugreifen können. Mit dem neuen Ba- chelor-Studium ‚Sustainable Plastics‘ und neuen Master-Studiengängen hof- fen wir auch, dass auch die Studieren- denzahlen an der JKU wieder steigen. Welche Anwendungen für künstliche Intelligenz können Sie sich speziell für das Kunststoffrecycling vorstellen? Das Thema künstliche Intelligenz wird für das Recycling speziell interessant, wenn ich etwa daran denke, dass auf jeder Verpackung ein Barcode sein könnte, um zu kennzeichnen, welche Folien-Type oder Bedruckungsart ver- wendet wird. Mit diesen Infos könnte bei der Sortierung festgestellt werden, dass die Verpackung etwa aus dem Le- bensmittel-Kontakt kommt. Das würde den Weg Richtung geschlossener Kreisläufe massiv erleichtern. Dazu gibt es ja schon einige Branchen-Initi- ativen wie R-Cycle, wo wir auch Mit- glied sind, aber sowohl Maschinen- hersteller als auch Verarbeiter müssen mehrheitlich bereit sein, ihre Daten zur Verfügung zu stellen. Ich würde mir wünschen, dass die Unternehmen im Sinne der Kreislaufwirtschaft offener agieren. Technologisch wäre das in- nerhalb kurzer Zeit umsetzbar, aber die Bereitschaft dazu fehlt noch. Und dann kommt noch das kleine Neben-Pro- blem Finanzierung. Firmen sind selten dazu bereit, ihre Daten zur Verfügung zu stellen und dann auch noch dafür zu zahlen. Die Motivation dafür ist ver- ständlicherweise gering. Man wird sehen, ob die Markenartikler in diese Richtung Druck machen oder optional Folienhersteller dazu verpflichten, Ver- packungen recyclingfähig zu machen, etwa aus Monomaterialen bzw. Mul- ti-Monolayer. Damit müsste man sich keine Gedanken über Barcodes oder andere teure Methoden zur Nachvoll- ziehbarbarkeit machen. Design for Re- cycling oder Kennzeichenbarkeit für die Sortierung – das sind zwei unter- schiedliche Philosophien. Wenn ich alles auf Design for Recycling setze, so wie es etwa die PET-Industrie bei der Flasche gemacht hat, muss ich ohne- hin nicht mehr so viel sortieren. Besonders aktiv ist die Erema Group, aber auch Sie persönlich, im Aufbau und der Pflege von Netzwerken. Wo sollte die Branche noch ansetzen, um (noch) erfolgreicher gemeinsam an der Vision einer Circular Economy zu arbeiten? Neben den österreichischen Netz- werken wie Kunststoff-Cluster, ÖCC2 und Verpackung mit Zukunft war für mich der Outcome auf der K 2022 au- ßergewöhnlich. Im ‚Circular Econo- my Forum‘ des VDMA im Außenbe- reich, für das wir vor sechs Jahren mit unserer Präsenz den Start gegeben haben, wurde von vielen Unterneh- men ein klares Commitment für die Kreislaufwirtschaft abgegeben und ein positives und wichtiges Signal für die gesamte Branche gesetzt. Je mehr Unternehmen für die Verar- beiter, egal ob Extrusion oder Spritz- guss, Maschinen-Lösungen anbieten, auf denen Recycling-Material verar- beitet werden kann, umso besser ist es für die gesamte Kunststoffindustrie. Als Industrie müssen wir ganzheitlich denken. Mein Anliegen, auch im Vor- stand des VDMA, war es von Anfang an, die Maschinenhersteller zum Nach- denken zu bringen, wie auf ihren Ma- schinen Regranulat verarbeitet wer- den kann. Damit verschaffen sie sich zudem einen entscheidenden Wettbe- werbsvorteil gegenüber asiatischen Mitbewerbern. Mit der Chemarema-Anlage haben Sie im Vorjahr eine Lösung für die hocheffiziente Aufbereitung von Post- Consumer Abfall für das chemische Recycling vorgestellt. Konnte das An- lagenkonzept Ihre Erwartungen bis- her erfüllen? Wir sind begeistert, welchen positiven Reply wir in den letzten Monaten vom Markt erhalten haben und auch bei verschiedensten Projekten dabei sein dürfen. Damit bekommen wir natür- lich auch die Entwicklungen der un- terschiedlichen chemischen Recycling- Prozesse weltweit mit. Die chemischen Recycler haben sich bis jetzt haupt- sächlich mit dem Prozess beschäftigt und tauchen erst jetzt langsam aber Manfred Hackl wurde im Mai auf der Plastics Recycling Show Europe zum „Plastics Recycling Ambassador of the Year“ gewählt. Foto: K. Sochor Die Chemarema-Anlage ermöglicht die perfekte Aufbereitung des Input-Stroms für das che- mische Recycling. Foto: EremaINTERVIEW Österreichische Kunststoffzeitschrift 7/8 2023 EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen konnte sich persönlich bei einem Kunden von Erema davon überzeugen, wie aus Fischernetzen und Seilen wieder hoch- wertiges Rezyklat wird. Foto: Erema sicher in die Welt des Inputs ein. Da kommt es natürlich zum einen oder an- deren Aha-Erlebnis, bei dem wir un- seren Kunden unterstützen wollen. Die erforderlichen Parameter wie Mas- setemperatur oder -druck können für die verschiedenen chemischen Recy- cling-Prozesse extrem unterschiedlich sein. Dank unserer Chemarema-Anla- ge schaffen wir es, mit einem sehr va- riablen Input umzugehen. Chemische Prozesse sind minderwertig, wenn sie mit großen Schwankungen konfron- tiert sind. Wir bieten unseren Kunden eine robuste Maschine, die nicht fil- triert, nicht entgast, wenn es nicht er- forderlich ist, sondern eine optima- le Schmelzeaufbereitung ermöglicht, unabhängig von Schüttdichte, Feuch- tigkeit, Verschmutzung und Polymer- zusammensetzung. Wir liefern die Schmelze in der vorgegebenen Band- breite und sehen, dass unsere Kunden sehr erleichtert sind, wenn wir Ihnen einiges an Kopfzerbrechen abnehmen. Vor allem jetzt, da die ersten realen An- lagen in Betrieb gehen, in denen nicht mehr wie im Labor mit Mustermate- rialien gearbeitet wird. Bei 2 Tonnen Durchsatz pro Stunde wird die Vari- anz wesentlich höher sein als zuvor bei zwei Kilo Material im Labor. Einer unserer Partner und Kunden ist KBR Mura, die schon in mehreren Ländern Anlagen betreiben und in die nächste Skalierungstufe von 50.000 jato und 100.000 jato kommen. Mit der Bandbreite unserer Extrusi- onslösungen können wir je nach Vor- DOSIERTECHNIK PERFEKT DOSIERT SMARTmix TOP 7000 Pro KALTKANALSYSTEM PNEUMATISCHUND ELEKTRISCH SMARTshot www.elmet.com gabe die Chemarema-Maschine kun- denspezifisch konfigurieren. Welche Technologie auch immer für das che- mische Recycling verwendet wird – wir bieten wir mit unserer Chemare- ma-Anlage die perfekte Aufbereitung des Input-Stroms. Durch EU-Regularien, nationale Ge- setze und zukünftige Verordnungen wie die PPWR kommt Schwung in die Etablierung der Kreislaufwirtschaft. Wer sind Ihrer Meinung nach derzeit die größten Treiber? Die Europäischen Verpackungsverord- nung PPWR ist positiv für den Kunststoff zu sehen, eine Verordnung, die erstma- lig für ALLE Werkstoffe gilt, nicht nur für den Kunststoff. Darin sehe ich eine Be- stätigung, dass die EU verstanden hat, dass Kunststoff Teil der Lösung ist. Auch den neuen UN-Report sehe ich, übri- gens als einer der wenigen, positiv aus zwei Gründen: am Titelblatt steht ‚End of Plastic Waste‘ und nicht etwa ‚End of Plastic‘ oder Ähnliches. Und im Vorwort lautet der erste Satz ‚Kunststoffe leisten einen wichtigen Beitrag für unsere Ge- sellschaft‘. Und gleich danach ist dort zu lesen ‚Wir müssen die Kreisläufe für Kunststoffabfall schließen‘. Das wol- len wir doch alle in der Industrie! Das muss jeder aus der Kunststoffindustrie unterschreiben. Kunststoff nicht verbie- ten, sondern die Auseinandersetzung mit Kunststoffabfall fördern – das muss unser Ziel sein! Der größte Treiber für Recycling und nachhaltige Lösungen sind aber mit Si- cherheit die großen Brands und Super- marktketten mit viel Einfluss, vor allem auch auf politische Entscheidungen. Ein Statement von EU-Kommissions-Präsi- dentin Ursula von der Leyen gefällt mir besonders gut: ‚Wir haben in Europa viel Technologie-Kompetenz über die letzten Jahrzehnte verloren. Im grünen Technologiebereich sind wir hingegen führend und sollten danach trachten, in diesem Bereich weltweit Technolo- gieführer zu werden.‘ Ich bin überzeugt, dass wir unsere innovativen Technolo- gien in Europa etablieren und gleich- zeitig einen positiven Fußabdruck welt- weit hinterlassen können. Vielen Dank für das Gespräch!INTERVIEW Anlässlich der Veröffentlichung der Halbjahres-Ergebnisse, führ- ten wir mit CEO Thomas Gangl und CFO Daniel Turnheim ein Interview über aktuelle Zahlen in einem schwierigen Marktumfeld, nachhaltige Projekte und be- reits erfolgte sowie geplante Unternehmensfusionen. Die Rahmenbedingungen gestalten sich für Kunststoffhersteller, verarbei- tende Betriebe und Zulieferer zurzeit herausfordernd. Und auch bei der Bo- realis sind die Auswirkungen zu spü- ren – die finanziellen Ergebnisse liegen deutlich unter denen des Vorjahres. Ein Vergleich mit 2022 sei ohnehin schwie- rig, da es ein besonders gutes und er- folgreiches Jahr war, betont Thomas Gangl: „Der Markt ist derzeit extrem volatil und die Preise sind niedrig. Wir hatten die Hoffnung, dass mit dem Ende der chinesischen Zero-Covid-Po- litik die Situation besser wird, was sich aber leider nicht bewahrheitete. China ist schwach geblieben, die Bankenkrise hat auch nicht geholfen.“ Rückläufiger Markt Für Ethylen und Propylen beziehungs- weise Polyethylen und Polypropylen sieht die Entwicklung entsprechend ähnlich aus. Thomas Gangl erläutert die Hintergründe: „Nach einer leicht positiven Entwicklung Anfang des Jah- res ist der Markt nun rückläufig und wir sehen, dass der Bedarf an Mengen stark negativ beeinflusst ist, was wir auch an unseren Verkaufszahlen merken.“ Im ersten Halbjahr wurden 1, 8 Millionen Tonnen Polyolefine verkauft. Die Quar- tale 1 und 2 waren zwar jeweils besser als das vierte Quartal des Vorjahres, verglichen mit 2022 waren die Absätze aber um 5 % geringer.“ Die Aussichten sind für Gangl nicht besonders erfreu- lich: „Wir sehen derzeit keine positive Entwicklung und denken, dass es ähn- lich weitergehen wird, da vor allem die Bereiche Consumer Products und Infrastruktur starken Einfluss auf die Marktentwicklung haben. Die hohen Lebenshaltungskosten und die Inflati- on allgemein drücken auf die Kauflau- ne der Kunden und die macht sich in den angesprochenen Segmenten am stärksten bemerkbar. Europa ist aus globaler Perspektive trotzdem immer noch ein sehr interessanter Markt ge- wesen, und ich sage bewusst gewe- sen, da das Geschäft auf Grund des niedrigen Preisniveaus jetzt auch hier abflaut.“ Starke Importe nach Europa hätten laut Gangl die Wettbewerbssi- tuation noch verschärft. Zudem gäbe es saisonale Effekte, die nicht immer so stattfinden, wie man es gerne hätte: „Normalerweise kommt es im Frühling allgemein zu einem stärkeren Anstieg der Nachfrage, was heuer aber aus- blieb, und das Sommerloch hat früher begonnen. Die weiterverarbeitende In- dustrie hat stark darauf gesetzt, dass die Preise weiter fallen und eine Be- standsoptimierung durchgeführt. Nur im Bereich ‚Energie‘ läuft das Geschäft nach wie vor sehr gut für uns.“ Das Thema Düngemittel haben wir dieses Mal bei unserem Gespräch zum letzten Mal auf der Agenda, denn nach längerem Prozess wurde der Verkauf des Düngemittelgeschäfts Mitte des Jahres abgeschlossen. Thomas Gangl ist über den erfolgreichen Abschluss hörbar erleichtert: „Jetzt können wir uns voll auf unsere Hydrocarbons und Polyolefine fokussieren!“ Inventareffekte sorgen für Rückgang des Ergebnisses Zu den aktuellen Unternehmenszahlen und Kennzahlen konnten wir mit Dani- el Turnheim, seit Juni 2023 neuer CFO der Borealis, sprechen. Zuvor war Turnheim in der OMV Gruppe Seni- or Vice President Finance & Tax. Er er- läuterte vorab, dass sich alle genann- ten Zahlen auf das Stammgeschäft ohne das verkaufte Nitro-Geschäft be- ziehen. Das operative Geschäft lag mit einem EBIT von 95 Millionen im ersten Halbjahr massiv unter dem Wert von 660 Millionen aus 2022. Die Reduktion von rund 500 Millionen ist laut Daniel Turnheim auf drei Faktoren zurückzu- führen: „Den stärksten Effekt machten sogenannte Inventory Effects (Inventa- reffekte) aus: in einem stark steigenden Preisumfeld wie 2022 wird nicht nur die normale Marktmarge verbucht, sondern man verkauft Produkte, die in billigeren Perioden auf Lager ge- legt wurden, es entsteht ein sogenann- ter Margen-Uplift. In einem fallenden Preisumfeld wie im ersten Halbjahr 2023, ist man gezwungen, Produkte zum aktuellen Marktpreis zu verkaufen, obwohl die Vorprodukte teurer einkauft wurden. Dieser Effekt hat im ersten Halbjahr mit rund 350 Millionen massiv zu Buche geschlagen. Ein weiterer Fak- tor für den deutlichen Ergebnisrück- gang war das um rund 5% rückläufige Verkaufsvolumen bei Polyolefinen, es wurden damit rund 100.000 Tonnen we- niger verkauft. Und ein dritter Faktor ist die Margensituation generell – wäh- rend im Speciality-Bereich, also bei kundenspezifischen Produkten, stabi- le Margen vorherrschten, mussten wir bei Commodity-Produkten doch einen sehr deutlichen Margenrückgang hin- nehmen.“ Das Net Income liegt mit 146 Mil- lionen über dem operativen Ergeb- nis, da die Beiträge aus den Joint Ven- tures Borouge und Baystar einfließen. Auch der Cashflow liegt mit 204 Milli- onen Euro über dem des Vorjahrs, was Turnheim folgendermaßen erklärt: „Da Im Gespräch mit CEO Thomas Gangl und CFO Daniel Turnheim anlässlich der Veröffentlichung der Halbjahres-Ergebnisse der Borealis AG INTERVIEW Österreichische Kunststoffzeitschrift 7/8 2023 168 CFO Daniel Turnheim und CEO Thomas Gangl im Interview. Foto: Borealisdas steigende Preisumfeld Working Capital gebunden hat, gewinnen wir nun Working Capital aus dem sinken- den Preisumfeld – das ist die Kehrsei- te der Medaille, sozusagen der ‚Trost- preis‘ der Inventareffekte. Wenn das Ergebnis auf Grund sinkender Preise schlecht ist, sollte der Cash Flow nor- malerweise gut aussehen und das tut er. Zusammenfassend hat die Chemie- krise ohne Frage Spuren im Ergebnis hinterlassen, trotzdem ist mir wichtig zu betonen, dass das Managementteam schon früh gegengesteuert hat.“ Im letzten Jahr wurde bereits ein Kosten- und Margen-Improvement Programm gestartet, genannt Strong Foundati- on Performance Excellence, das allei- ne mit über 100 Millionen zum Ergebnis beitragen soll. Und Turnheim weiter: „Es wurden die richtigen Schritte für ein solides Ergebnis gesetzt, um zu einem positiven EBIT und Net Income beizutragen. Die finanzielle Situation der Borealis ist stark, wir stehen zur- zeit bei einem Verschuldungsgrad von nur 5 %, die unternehmensinterne Vor- gabe liegt bei maximal 35 bis 65%. Und Standard & Poors hat im Jänner unser Investment Grade Rating mit BBB+ be- stätigt.“ Unternehmenskäufe und innovative Produkte Hinsichtlich der laufenden Aktivitäten der Borealis kann Thomas Gangl mit guten Nachrichten aufwarten, so etwa aus Nordamerika: „Bei unserem Joint Venture Baystar in Texas, gemeinsam mit TotalEnergies, sind beide Anlagen fertiggestellt. Der Cracker läuft bereits und die Polyolefin-Anlage ist in der Start-up-Phase. Schon in den nächsten Wochen beginnen wir, entsprechende Mengen zu produzieren. Und am Weg zu mehr Nachhaltigkeit ist Thomas Gangl überzeugt, dass das Wachs- tum von Borealis nicht nur organisch passieren kann: „Ein großes Highlight war der im Juni eröffnete Kauf der ita- lienischen Firma Rialti. Das Unterneh- men stellt Polypropylen-Compounds aus mechanisch recyceltem Materi- al her und ist mit einer Produktion von rund 50.000 Tonnen pro Jahr eines der führenden Unternehmen in Europa in diesem Bereich.“ Damit wurde ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Wachstum gesetzt. Aber auch auf der Produktseite erweitert Borealis konti- nuierlich sein Angebot an Produkten für eine erfolgreiche Transformation in Richtung erneuerbarer Ressourcen. Mit Stelora™ hat man etwa ein Mate- rial aus erneuerbaren Rohstoffen auf den Markt gebracht, das vor allem in Automotive- und Energie-Anwen- dungen eingesetzt wird. Und dank des Verkaufes des Düngemittelgeschäft gibt es noch eine äußert positive Aus- wirkung auf die CO 2 -Bilanz. „Unser CO 2 -Footprint hat sich durch das Nitro- Divestment erfreulicherweise um rund 50 % verbessert. In Finnland haben wir zudem gerade einen Vertrag unter- schrieben, um unser Grünstrom-Port- folio zu erweitern. Hier geht es diesmal um eine Windkraftanlage, wodurch wir große Fortschritte machen, um unser Ziel von 100 % Grünstrom in 2030 erreichen“, ist Thomas Gangl vom ein- geschlagenen Weg überzeugt. Vorsichtige Prognosen Nach seiner Prognose für das zwei- te Halbjahr 2023 und das Jahr 2024 ge- fragt, fällt die Antwort von Thomas Gangl relativ kurz und prägnant aus: „Ich sehe hier keine bedeutende Erho- lung, weder im dritten noch im vierten Quartal. Vielmehr stellt sich für die ge- samte Industrie die Frage, wie es im Jahr 2024 weitergehen wird. Damit rückt auch die Thematik zusätzlicher Optimierungen in den Fokus. Wel- che strukturellen Veränderungen sind künftig erforderlich? Es wird in jedem Fall herausfordernd, soviel ist sicher.“ INTERVIEW Österreichische Kunststoffzeitschrift 7/8 2023 169 Wir stehen vor Herausforderungen, die alle Marktteilnehmer betreffen, wie beispielsweise ein erheblicher Margendruck, und müssen erkennen, dass es in diesem Kontext erheblich schwieriger ist, die Transformation hin zu nachhaltigen Produkten zu bewerkstelligen. Der anhaltende Preisdruck beeinträchtigt die Rentabilität unserer Kunden. Dennoch setzen wir unseren Weg fort, obwohl er sich inzwischen etwas anspruchsvoller gestaltet. „ “ Gleichzeitig betont er aber auch, dass zwei äußerst erfolgreiche Jahre hinter uns liegen: „Im letzten Jahr habe ich schon gesagt, dass wir uns an solche Ergebnisse nicht gewöhnen sollten. Jetzt erleben wir eine Phase, in der das Pendel in die andere Richtung aus- schlägt. Hier bedarf es einer beson- nenen Vorgehensweise und geeigneter Maßnahmen, um dem entgegenzuwir- ken, etwa durch Kostensenkungen und ähnliches. Geplante Fusion als weiterer Schritt Richtung Nachhaltigkeit Zum Fortschritt der Verhandlungen hinsichtlich des geplanten Zusam- menschlusses von Borealis und Borou- ge will Thomas Gangl nicht sehr viel sagen, aber zu den Vorteilen, die eine solche Fusion mit sich bringen könnte, spricht er sich klar aus: „In Summe bin ich überzeugt, dass ein solcher Schritt ein enormes Potenzial birgt, um un- seren globalen Einfluss im Polyole- fin-Geschäft zu maximieren. Trotz der bisher schon sehr erfolgreichen Zu- sammenarbeit von Borealis und Bo- rouge erreichen wir noch einmal eine andere Dimension, wenn wir unsere Aktivitäten in einem gemeinsamen Un- ternehmen zusammenführen. Daraus ergeben sich zahlreiche Synergien, da wir einerseits im Marktumfeld sehr gut zusammenpassen und gleichzeitig Stärken haben, die sich gewinnbrin- gend nutzen lassen. Borealis ist beim Sustainability-Prozess sicherlich schon einen Schritt weiter, weil wir sehr früh in das Recycling-Geschäft eingestie- gen sind. Mit den entwickelten Tech- nologien könnten wir zusammen mit Borouge die Kreislaufwirtschaft noch weiter vorantreiben, denn die Zielrich- tung ist auch bei Borouge zunehmend Richtung Nachhaltigkeit ausgerichtet.“ Danke für das Gespräch! In dieser Ausgabe finden Sie eine Beilage von MAK.INTERVIEW Österreichische Kunststoffzeitschrift 7/8 2023 170 INTERVIEW Bei Arburg stehen seit Jahren die Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft ganz oben auf der Agenda. Wir sprachen mit Gerhard Böhm über aktuelle Aktivitäten im Unternehmen, un- terhielten uns über ‚eigensinni- ge‘ Entscheidungen und befragten ihn zu seinen Ideen für einen be- wussteren Einsatz von wertvollen Ressourcen. Welche Entscheidungen hinsichtlich Nachhaltigkeit haben das Unterneh- men Arburg besonders geprägt? Die frühe Entscheidung der Firmen- gründer, zu jeder Zeit sorgfältig mit Rohstoffen und Energie umzugehen, ist der elementare Grundstein, aus dem sich seither alle weiteren Handlungen ableiten. Und dann natürlich, vor die- sem Hintergrund, der Start mit arburg- GREENworld als unser Programm, das alle Aktivitäten in Zusammenhang mit Circular Economy und Ressourcen- schonung bündelt. In Ihren Broschüren sticht immer wie- der die Aussage ‚Wir sind eigensinnig‘ heraus – wie ist das gemeint? Eigensinn darf bei Arburg im positiven, besten Sinn interpretiert werden. ‚Ei- gensinnig‘ ist nicht nur auf die Nach- haltigkeit bezogen, sondern insgesamt darauf, dass wir insgesamt unseren ei- genen Weg gehen. Wir verfügen über eine sehr hohe Fertigungstiefe, pro- duzieren an einem einzigen zentralen Standort in Loßburg im Schwarzwald und entwickeln und bauen unsere ei- gene Steuerungs- und Antriebstech- nik. Das ist im Maschinenbau in un- serer Größenordnung durchaus nicht Gang und Gebe. Sowohl bei der Steu- erungstechnik als auch mit unserem Schwesterunternehmen AMKmotion haben wir hervorragende Köpfe im ei- genen Haus, die den Marktblick nicht verlieren, da sie nicht nur an uns lie- fern, sondern auch an weitere Unter- nehmen in der Kunststoffindustrie. So bleiben wir am Puls der Zeit. Diesen Eigensinn haben wir gewis- sermaßen auch auf die arburgGREEN- world übertragen. Am Standort in Loßburg gab es ja schon in der Vergan- genheit in Sachen Energie zahlreiche Aktivitäten, über die sonstwo zum da- maligen Zeitpunkt noch kaum jemand nachgedacht hat – seien es etwa PV- Anlagen, Windenergie, Geothermie und der Bezug von grünem Strom. Das schwäbische ‚sparsam‘ hieß in unserem Fall schon früh ‚sorgfältig und vernünftig mit Ressourcen umzu- gehen‘. Es war auch ein Stück Eigen- sinn, Geld in Technologien zu investie- ren, wo andere noch gezögert haben. Energieverschwendung hat sich lange Zeit ‚leichter‘ gerechnet, als in Anla- gentechnologie zu investieren. Seither heben wir auch laufend weitere Poten- tiale. Aktuell ist es bei uns zum Beispiel das Thema Regenwassernutzung, das einerseits Einsparungspotential bietet, aber gleichzeitig natürlich auch Ko- sten verursacht, weil das System per- manent am Laufen gehalten werden muss. Zudem haben wir in diesem Jahr dank des Ausbaus des regionalen 20-kV-Stromnetzes zwei Windräder an unser firmeninternes Stromnetz ange- bunden. Aus welcher Motivation heraus hat Ar- burg die arburgGREENworld geschaf- fen? Als wir 2019 arburgGREENworld auf- gesetzt haben, stellten wir fest, dass un- sere Kunden immer mehr auf Nachhal- tigkeit und Energieeffizienz achten und wir eigentlich schon sehr viel auf dem Gebiet machen, aber nicht genug darü- ber reden. Wir wollten die Dinge nicht an die große Glocke hängen, aber in Sachen Nachhaltigkeit war unsere Schlussfolgerung „Tue Gutes und rede darüber“. Das ist eine positive Message, die nun auch in unserem Nachhaltig- keitsbericht weitergetragen wird. Am Anfang unserer Aktivitäten wurde ein Mitarbeiter beauftragt, im Unternehmen nach Mitstreitern Aus- schau zu halten, die Interesse an Nach- haltigkeitsthemen haben. Wir haben keine ‚Abteilung Nachhaltigkeit‘ auf- gestellt, sondern sind in die Breite ge- gangen. Die Mitarbeiter selbst waren begeistert und überzeugt, dass Arburg genau das kann und braucht. Der da- raus entstandene Arbeitskreis war die Initialzündung für das arburgGREEN- world-Programm. Wir sind tief über- zeugt, dass Nachhaltigkeit eine in- terdisziplinäre Geschichte ist. Die verantwortlichen Mitarbeiter haben einen viel breiteren Blickwinkel, da sie über verschiedene Abteilungen ver- teilt sind. Nachhaltigkeit ist bei Arburg nicht nur ein Schlagwort, sondern wird im Unternehmen gelebt und ist in un- serer DNA verwurzelt. Gerade die Themen Digitalisierung und vermehrt künstliche Intelligenz sind Gamechanger bezüglich der Eta- blierung einer echten Kreislaufwirt- schaft. Welche Veränderungen er- warten Sie und vor allem auch Ihre Kunden in den nächsten Jahren? Das ist eine interessante Frage! Digi- talisierung und KI würde ich in erster Linie als Enabler sehen. Sie machen technische Lösungen möglich, die uns Vorteile in Bezug auf mehr Nach- haltigkeit bringen – ganz sicher. Aber am Anfang der ‚Nahrungskette‘ stehen wir Menschen, die genau diese Nach- haltigkeit auch WOLLEN müssen. Wir müssen bereit sein, Kompromisse zu- zulassen. Weiter in jeder Beziehung auf das Optimum zu bestehen, wird keine ausreichende Veränderung bewirken. mit Gerhard Böhm, Arburg-Geschäftsführer Vertrieb und Service Gerhard Böhm, Geschäftsführer Vertrieb und Service bei der Arburg GmbH + Co KG. Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft im FokusÖsterreichische Kunststoffzeitschrift 7/8 2023 171 INTERVIEW Nehmen wir an, wir alle sind bereit für eine echte Kreislaufwirtschaft, dann werden digitale Lösungen sehr gut unterstützen. Aus meiner Sicht ergibt sich daraus zum Beispiel in der Mate- rialvielfalt eine deutliche Reduzierung und Standardisierung. Durch EU-Regularien, nationale Ge- setze und zukünftige Verordnungen wie die PPWR kommt Schwung in die Etablierung der Kreislaufwirtschaft. Wer sind Ihrer Meinung nach derzeit die größten Treiber? Die Ansätze der PPWR sind grundsätz- lich richtig. Die Verordnung wird neue zusätzliche Impulse setzen und sie wird auch an einigen Stellen nachteilige Auswirkungen haben, die dann unter die schon angesprochene Kompro- missbereitschaft fallen müssen. Ohne Zweifel wäre der größte Trei- ber die zügige Umsetzung eines Min- deststandards weltweit. Das heißt, in einem Großteil der Welt Müllentsor- gung überhaupt erst auf ein akzepta- bles Niveau zu heben. Wo sollte die Branche noch ansetzen, um (noch) erfolgreicher gemeinsam an der Vision einer Circular Economy zu arbeiten? Da sind Sie bei meinem Lieblingsthe- ma angekommen: Ganz einfach – De- sign for Recycling! Da liegt einfach alles drin und wir lahmen da hinter- her. Dieser Prämisse müssen wir unser Handeln unterordnen. Die technischen Voraussetzungen für eine funktionie- rende Kreislaufwirtschaft sind auf dem zu gehenden Weg schon viel weiter. Haben Sie Ideen, wie das Bewusst- sein für Ressourcenschonung in der Bevölkerung gestärkt werden kann und gleichzeitig im Mindset Abfall zu wertvollem Rohstoff werden kann? Leider sind viele Themen noch nicht beim Konsumenten angekommen. Da habe ich wirklich viele Ideen; ein so umfangreiches Thema. Wo soll ich da anfangen...? Vielleicht damit, dass wir ehrlich zu uns selbst sein müssen, die gesamte Wertschöpfungskette be- trachten, uns mit Ursachen und nicht mit Symptomen beschäftigen. Wir müs- sen uns von dogmatischen Ansätzen – grundsätzlich GUT oder grundsätz- lich SCHLECHT lösen, 80 %-Lösungen auch gut finden. Und informieren, in- formieren, informieren. Das muss Teil Im arburgGREENworld-Pavillon auf der K 2022 präsentierten die Arburg-Auszubildenden, wie der Maschinenhersteller mit dem „Plan A“ seinen Anteil zur Lösung einer globalen und gesamtgesellschaftlichen Aufgabenstellung leistet. Fotos: Arburg Interdisziplinäres ESG-Team bei Arburg (von links): Dr. Christoph Schumacher (Global Marketing), Arthur Kopp (Materialwirtschaft), Florian Schmitz (Gebäudetechnik), Georg Anzer (Personal management), Andreas Reich (Central Sales and Applied Technologies), Walter Däumler (Qualitätsmanagement), Samira Uharek (Sustainability), Oliver Giesen (Business Development) und Joachim Wössner (Finanzen Controlling). der schulischen und beruflichen Aus- bildung werden! Hier nur ein Beispiel für fehlende Information: Es macht kei- nen Sinn von Kunststoff auf Papier um- zustellen, weil wir das Problem der Ab- fallsammlung nicht gelöst haben und das Ersatzprodukt uns einen höheren Ressourceneinsatz beschert. Danke für das Gespräch! 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